Streit zwischen einem Berliner Filmunternehmen und TikTok bezüglich unautorisierter Filmveröffentlichungen auf der Plattform TikTok
Das Urteil des Landgerichts München I vom 09. Februar 2024, Aktenzeichen 42 O 10792/22, betrifft einen Streit zwischen einem Berliner Filmunternehmen und TikTok bezüglich unautorisierter Filmveröffentlichungen auf der Plattform TikTok. Das Gericht entschied, dass TikTok seine Verpflichtungen zur Lizenzierung nicht erfüllt hat, obwohl das Filmunternehmen ein konkretes Angebot zur kostenpflichtigen Lizenzierung unterbreitet hatte.
TikTok wurde verurteilt, die unautorisierte öffentliche Zugänglichmachung der Filme zu unterlassen und Auskunft über die Nutzung zu geben. Außerdem stellte das Gericht fest, dass TikTok schadensersatzpflichtig ist, weil es nicht die notwendigen Anstrengungen im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG unternommen hat, um die angebotenen Nutzungsrechte zu erwerben.
Das Gericht betonte, dass die Verhandlungen zwischen Diensteanbietern und Rechteinhabern fair und zügig zu führen sind und dass die Plattformbetreiber nicht zwischen Lizenzierung und Blockierung wählen dürfen, um sich der Haftung zu entziehen.
Sachverhalt
Im Urteil des Landgerichts München I vom 09. Februar 2024 (Az. 42 O 10792/22) geht es um eine Klage eines Berliner Filmunternehmens gegen die Betreiberin der Plattform TikTok. Die Klägerin hatte die Beklagte darauf hingewiesen, dass diverse Filme ohne Genehmigung auf der Plattform veröffentlicht wurden, und bot an, diese Filme kostenpflichtig zu lizenzieren.
Ablauf der Ereignisse
- Hinweis auf Urheberrechtsverletzung: Das Filmunternehmen stellte fest, dass auf TikTok mehrere Filme ohne entsprechende Lizenz veröffentlicht worden waren. Es wies TikTok auf diese Verstöße hin und bot an, die nötigen Nutzungsrechte gegen eine Lizenzgebühr zu erwerben.
- Verhandlungsversuche: Trotz des Angebots der Klägerin, die Filme zu lizenzieren, verliefen die Verhandlungen ohne Ergebnis. TikTok unternahm nicht die notwendigen Schritte, um die vorgeschlagenen Lizenzen zu erwerben.
- Gerichtsurteil: Das LG München I entschied, dass TikTok die erforderlichen bestmöglichen Anstrengungen im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG vermissen ließ. Das Gericht verurteilte TikTok zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung über die unautorisierten Veröffentlichungen. Zudem wurde TikTok zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, da es seine Lizenzierungsobliegenheiten nicht erfüllt hatte.
- Rechtsgrundlagen: Das Urteil basiert auf den Regelungen des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG), das unter anderem vorschreibt, dass Plattformen wie TikTok aktiv bestmögliche Anstrengungen unternehmen müssen, um Nutzungsrechte zu erwerben, wenn diese angeboten werden. Andernfalls können sie sich nicht von der Haftung für Urheberrechtsverletzungen freisprechen.
Das Urteil betont die Verpflichtung digitaler Plattformen zur fairen und zügigen Verhandlung mit Rechteinhabern und schließt eine bloße Blockierung als alleinige Maßnahme zur Haftungsfreistellung aus.
Wie begründet das Landgericht seine Entscheidung?
Das Landgericht München I begründete seine Entscheidung im Urteil vom 09. Februar 2024 (Az. 42 O 10792/22) mit mehreren wesentlichen Punkten:
1. Verpflichtung zur Lizenzierung
Das Gericht stellte fest, dass TikTok seinen Verpflichtungen gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG nicht nachgekommen ist. Diese Bestimmung fordert, dass digitale Plattformen bestmögliche Anstrengungen unternehmen müssen, um Nutzungsrechte zu erwerben, wenn diese von Rechteinhabern angeboten werden. Das Gericht stellte klar, dass TikTok diese Anstrengungen nicht unternommen hat, obwohl die Klägerin ein konkretes Angebot zur Lizenzierung der Filme gemacht hatte.
2. Unzureichende Verhandlungsbemühungen
Das Verhalten von TikTok während der Verhandlungen ließ nach Ansicht des Gerichts nicht erkennen, dass die Plattformbetreiberin bestrebt war, zu einem beiderseits interessengerechten Ergebnis zu gelangen. Die Verhandlungen waren einseitig und von einem Informationsfluss von der Klägerin zur Beklagten geprägt, ohne dass TikTok ernsthafte Gegenangebote gemacht oder Preisvorstellungen geäußert hätte. Das Gericht wertete dies als „Hinhaltetaktik“.
3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Das Gericht betonte, dass die Beurteilung, ob ein Diensteanbieter bestmögliche Anstrengungen unternommen hat, im Einzelfall unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen muss. Im vorliegenden Fall zeigte das Verhalten von TikTok jedoch nicht, dass ernsthafte Verhandlungsbemühungen unternommen wurden.
4. Keine Entlastung durch Blockierung
TikTok konnte sich nicht auf eine Entlastung von der Haftung durch einfache oder qualifizierte Blockierung der unautorisierten Inhalte berufen. Das Gericht stellte fest, dass die Pflichten aus §§ 4, 7 bis 11 UrhDaG kumulativ zu erfüllen sind, um in den Vorteil der Enthaftung zu kommen. Das bedeutet, dass Plattformen nicht zwischen Lizenzierung und Blockierung wählen können, sondern beide Maßnahmen umsetzen müssen.
5. Urheberrechtliche Verantwortung
Das Gericht stellte fest, dass TikTok für die öffentlichen Wiedergaben der Filmproduktionen urheberrechtlich verantwortlich ist und somit schadensersatzpflichtig. Die Plattformbetreiberin konnte sich nicht auf eine Enthaftung nach § 1 Abs. 2 UrhDaG berufen, da sie ihre Lizenzierungsobliegenheit vernachlässigt hatte.
Durch diese Begründungen unterstrich das Gericht die Notwendigkeit für Plattformbetreiber, proaktiv und ernsthaft mit Rechteinhabern über die Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Inhalte zu verhandeln.
Wie lauten die Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils des Landgerichts München I vom 09. Februar 2024 (Az. 42 O 10792/22)
- Verhandlungspflicht und Lizenzierung: Digitale Plattformen wie TikTok sind verpflichtet, ernsthafte und bestmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um Nutzungsrechte für urheberrechtlich geschützte Inhalte zu erwerben, wenn diese von Rechteinhabern angeboten werden. Dies folgt aus § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG, der die Verantwortung der Plattformbetreiber für die Lizenzierung regelt.
- Fehlende Bemühungen seitens TikTok: Das Gericht stellte fest, dass TikTok keine ernsthaften Verhandlungsbemühungen unternommen hat. Die Verhandlungen waren einseitig und von einem unzureichenden Informationsaustausch geprägt, wodurch kein beiderseits zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden konnte. TikTok hat weder Preisvorstellungen geäußert noch Gegenangebote gemacht, was das Gericht als unzulässige Hinhaltetaktik wertete.
- Urheberrechtliche Verantwortung und Haftung: TikTok wurde zur Unterlassung und Auskunft über die unautorisierten Veröffentlichungen verurteilt und zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Diese Maßnahmen wurden ergriffen, weil TikTok seiner Lizenzierungspflicht nicht nachgekommen ist und somit urheberrechtlich haftbar bleibt.
- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Die Beurteilung, ob ein Diensteanbieter bestmögliche Anstrengungen unternommen hat, erfolgt auf Grundlage einer umfassenden Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Plattformbetreiber müssen dabei zügig und fair mit Rechteinhabern verhandeln.
- Keine Wahlmöglichkeit zwischen Lizenzierung und Blockierung: Plattformbetreiber können sich nicht darauf beschränken, lediglich Maßnahmen zur Blockierung unlizenzierter Inhalte zu ergreifen. Sie müssen sowohl die Lizenzierungs- als auch die Blockierungspflichten kumulativ erfüllen, um sich von der Haftung freizustellen.
Diese Leitsätze unterstreichen die strikten Anforderungen, die an digitale Plattformen gestellt werden, um die Rechte der Urheber zu schützen und eine faire Wertschöpfung zu gewährleisten.
Welche rechtlichen Auswirkungen hat das Urteil des Landgerichts auf zukünftige Fälle gleichen Inhalts?
Das Urteil des Landgerichts München I vom 09. Februar 2024 (Az. 42 O 10792/22) hat bedeutende rechtliche Auswirkungen auf zukünftige Fälle mit ähnlichem Inhalt. Hier sind die wichtigsten Auswirkungen:
1. Erhöhung der Verhandlungspflichten für Plattformbetreiber
Das Urteil setzt einen klaren Präzedenzfall, dass digitale Plattformen, die von Nutzern generierte Inhalte speichern und verbreiten, verpflichtet sind, ernsthafte und bestmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die erforderlichen Nutzungsrechte zu erwerben. Dies bedeutet, dass Plattformbetreiber nicht nur passive Maßnahmen wie die Blockierung von Inhalten ergreifen können, sondern aktiv und fair mit Rechteinhabern verhandeln müssen.
2. Stärkung der Rechte von Urhebern
Das Urteil stärkt die Position von Rechteinhabern, indem es ihnen ermöglicht, Plattformbetreiber zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese ihre Lizenzierungspflichten nicht erfüllen. Es wird erwartet, dass Rechteinhaber in zukünftigen Fällen stärker auf ihre Lizenzrechte bestehen und Plattformbetreiber zur Verantwortung ziehen werden, wenn diese ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
3. Erhöhung der Compliance-Anforderungen für Plattformen
Plattformen müssen sicherstellen, dass sie interne Prozesse und Systeme implementieren, die sicherstellen, dass Lizenzverhandlungen rechtzeitig und fair durchgeführt werden. Dies erfordert möglicherweise zusätzliche Ressourcen und Änderungen an bestehenden Geschäftsprozessen, um sicherzustellen, dass alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.
4. Präzedenzfall für zukünftige Rechtsstreitigkeiten
Das Urteil dient als Präzedenzfall für zukünftige Rechtsstreitigkeiten ähnlichen Inhalts. Gerichte in Deutschland und möglicherweise in anderen EU-Mitgliedstaaten könnten dieses Urteil als Referenz nutzen, um ähnliche Fälle zu entscheiden. Dies könnte dazu führen, dass Plattformbetreiber in anderen Gerichtsbarkeiten ebenfalls verstärkte Lizenzierungs- und Verhandlungspflichten erfüllen müssen.
5. Klarstellung der rechtlichen Anforderungen unter dem UrhDaG
Das Urteil klärt die Anforderungen des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) in Bezug auf die Verpflichtungen der Plattformbetreiber. Es unterstreicht, dass die Pflichten zur Lizenzierung und Blockierung kumulativ erfüllt werden müssen, um eine Haftungsfreistellung zu erreichen. Dies bietet eine klare rechtliche Leitlinie für Plattformbetreiber und Rechteinhaber gleichermaßen.
Fazit
Insgesamt erhöht das Urteil die Verantwortlichkeiten für Plattformbetreiber und stärkt die Rechte von Urhebern. Es schafft einen klaren Rahmen für die Verhandlungen zwischen Plattformbetreibern und Rechteinhabern und setzt einen wichtigen Präzedenzfall für die Durchsetzung urheberrechtlicher Ansprüche in der digitalen Welt.
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